Svenja Ottawa hält ihren Gaming ohne Grenzen Award.
Foto: Katja von der Linden

Auf einmal steht die Welt offen

„Ihre Streams sind mehr als nur Unterhaltung, sie sind ein Statement“, meint Laudatorin Saskia Moes, als sie am ersten Tag der gamescom 2024 Svenja Ottawa aka. Svenja Dev den Gaming ohne Grenzen Award in der Kategorie „Personality“ überreicht. Eine besondere Auszeichnung für die blinde Streamerin und Entwicklerin, die ihr sichtlich die Sprache verschlägt. „Schon die Nominierung war eine unglaubliche Ehre“, gesteht sie bewegt. Doch es dauert nur wenige Augenblicke im Gespräch mit ihr, um zu begreifen, warum gerade sie diesen Preis so sehr verdient hat.

Die ausgebildete Fachinformatikerin startet Ihre Karriere beim Hessischen Rundfunk, wo sie Software auf Barrierefreiheit testet, bevor sie sich dem Programmieren zuwendet.  Wie das als blinde Person gelingt, zeigt sie in ihren Streams. Aber nicht nur das: Als sie das Online-Sammelkartenspiel Hearthstone 2021 für sich entdeckt und sich in das Spiel „verliebt“, beginnt sie auch diese Passion im Stream zu teilen. „Was mich an Hearthstone angefixt hat“, sagt sie „war, dass mir die Welt auf einmal offen gestanden hat.“  

Zum Zocken nutzt Svenja Hearthstone Access. Das Community-owned Tool liest ihr sämtlichen Text auf dem Bildschirm vor und liefert Audio-Deskriptionen von jeder Karte und jeder Attacke, die sie oder ihr*e Gegner*in spielt.  Ohne dessen wäre das Spiel für blinde Menschen gänzlich unzugänglich. Dazu kommen die nativen Soundeffekte des Spiels. Die große Menge an hörbaren Reizen, die durch die Nutzung entsteht, überfordert Außenstehende, ist aber für Svenja kein Problem. Auch mit Zuschauer*innen zu interagieren geht ohne Mühe. Ein zusätzliches Programm liest ihr den Twitch-Chat in Echtzeit vor. Mit beeindruckender Leichtigkeit reagiert sie auf die Nachrichten, die immer wieder eintrudeln. Und es werden immer mehr. Spätestens seit einer Kooperation mit Aktion Mensch und Rocket Beans TV im März 2024 hat sich ihr Publikum vervielfacht.

„Ich will nie wieder hören, dass ein Blinder kein Legend schaffen kann.“

Zwar spielt Svenja auch andere Spiele wie zum Beispiel Forza Motorsport (Gewinner des Gaming Ohne Grenzen Award in der Kategorie „International“) und As Dusk Falls, aber Hearthstone ist und bleibt der Favorit.

Auf die Frage auf welchen Hearthstone Erfolg sie besonders stolz ist, hat Svenja sofort eine Antwort: Im Juli 2024 hat sie zum ersten Mal „Legend“ erreicht – den höchstmöglichen Rang. Ein Erfolg, den nur etwa 2,78 Prozent aller Spieler*innen erreichen.

Und dass, obwohl es immer hieß: „Svenja, das schaffst du niemals.“ Aber sie wusste es besser.  „Ich kenne Leute aus der blinden Hearthstone-Community, die das vorher schon geschafft haben. Als ich es dann letzten Monat geschafft, habe ich allen gesagt ‚Ich will nie wieder hören, dass ein Blinder kein Legend schaffen kann‘.“

Svenja Ottawa spielt Hearthstone auf der Bühne des Jugendforum NRW.
Foto: Sayaki Siuaarul

Es gibt noch viel zu tun

Ihr eigener Hearthstone-Erfolg ist ihr aber noch nicht genug. Svenja will, dass sich in der gesamten Branche mehr in Richtung Inklusivität tut. Dazu geht sie den ersten Schritt, spricht mit Entwickler*innen und bietet ihren Rat an. „Entwickler brauchen, wenn es um Barrierefreiheit geht, dringend Hilfe – besonders im deutschsprachigen Raum.“

Ihren persönlichen Schwerpunkt sieht sie in der Aufklärungsarbeit, aber auch darin die Arbeit anderer Menschen hervorzuheben und fortzuführen. Sie nennt hier besonders Brandon Cole. Bis zu seinem Tod im Juli 2024 postete Cole unter dem Usernamen SuperBlindMan und setze sich für mehr Barrierefreiheit im Gaming ein. Für den Gaming ohne Grenzen Award war er auch nominiert – in der gleichen Kategorie wie Svenja. Allein das hat die Nominierung und letztlich den Gewinn für sie zu etwas ganz Besonderem gemacht.  „Es ist eine Riesenehre. Vor allem, weil ich es überhaupt nicht erwartet hab.“

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